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Aus: Ausgabe vom 30.04.2025, Seite 15 / Antifaschismus
Staatstragender Antifaschismus

Großmütter auf NATO-Linie

Kriegstüchtige »Omas gegen rechts« attackieren Linke und das friedenspolitische Lager und genießen Ansehen der Regierenden
Von Susann Witt-Stahl
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Junge und alte Teilnehmerinnen bei der Demonstration zum bundesweiten »Klimastreik« von »Fridays for Future« in Berlin (14.2.2025)

Kaum ein Neonaziaufmarsch findet noch ohne den Protest der resoluten Seniorinnen statt. »Omas gegen rechts« (OGR) fordern ein AfD-Verbot und engagieren sich gegen Fremdenfeindlichkeit. Wie selten Antifaschisten zuvor in der BRD werden OGR von einer Medienwelle der Sympathie getragen, auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ist entzückt.

Kein Wunder, denn der »graue Block«, wie Zeit online titelte, bildet längst einen soliden Baustein der »Brandmauer«, die gegen die Friedensbewegung hochgezogen wird. Das wurde am diesjährigen Ostermarschwochenende deutlich. In der Hauptstadt trommelten OGR/Deutschland-Bündnis, gemeinsam mit der DFG-VK Berlin-Brandenburg sowie »antideutschen« Gruppen, gegen »faule Eier« im »Osternest«: Kommunisten, Sozialisten, Anarchisten, sogar die VVN-BdA wurden im Bunde mit der NPD und Jürgen Elsässers rechtem Compact-Magazin ausgemacht – wie einer Montage zu entnehmen ist, mit der sie in den sozialen Medien gegen die Friedensmarschierer mobilisierten. Solche mit Totalitarismustheorie à la Bundeszentrale für politische Bildung aufgeladene Agitation zog die passenden Unterstützer an: Neben mit Israel-Fahnen behängten »Omas« versammelten sich ukrainische Nationalisten zur Gegendemo – darunter Anhänger des neonazistischen »Asow«-Korps.

Mit aufgerufen hatte auch der Verein Vitsche, Kooperationspartner der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung sowie der Marketingagentur der Selenskij-Regierung »United 24«, auf deren Medienplattform sich offen faschistische Kriegspropaganda findet. OGR posteten auf ihrem X-Kanal auch eine wüste Pöbelei der ehemaligen Grünen-Politikerin Jutta Ditfurth gegen den Ostermarsch, der aus »antisemitischen Hamas- und putinfreundlichen Arschlöchern« bestanden habe, wie die Buchautorin behauptet – in Wirklichkeit hatten dort Vertreter des Bundesausschusses Friedensratschlag, der GEW München, der zivilgesellschaftlichen Palästina-Solidarität etc. den »Stopp aller Kriege« gefordert.

Dass OGR-Gruppen nach der Devise »Nie wieder Faschismus gegen NATO-gestützte deutsche Interessen« agieren und sich gegen das Friedenslager stellen, ist nicht neu: 2023 marschierten OGR Leipzig mit ukrainischen Rechten, darunter die Bandera-Lobby, für Waffenlieferungen. Immer wieder werden migrantische Linke von OGR-Aktivistinnen als »Antisemiten« beschimpft, wenn sie gegen israelische Kriegsverbrechen und das Massensterben in Palästina demonstrieren. »Es gibt weder Genozid noch ethnische Säuberung in Gaza«, meinen OGR Köln. »Es gibt nicht mal Hunger.«

Demenz? Keineswegs. Für viele OGR fing das Leben für die deutsche Staatsräson – kriegstüchtige Westbindung und »Israel-Solidarität« – nicht erst »mit 66 Jahren« an. Die 2017 von einer evangelischen Theologin in Österreich gegründete Initiative wurde in der BRD ab Januar 2018 von der ehemaligen CDU-Politikerin Anna Ohnweiler aufgebaut, die vor einigen Jahren in die SPD übergetreten ist. Mittlerweile zählen OGR, seit 2019 ein Verein ohne Gemeinnützigkeitsstatus, bundesweit an die hundert Regionalgruppen mit geschätzt 35.000 Aktivistinnen. Viele von ihnen kommen aus dem Milieu der Grünen; die Partei ist, wie auch die Klimaschutzinitiative von »Fridays for Future«, ein Bündnispartner von OGR für Kundgebungen und Veranstaltungen.

»Für Demokratie, Toleranz und Vielfalt«: Nicht nur klingen die Slogans der OGR nach staatlich betreutem Antifaschismus – dieser bildet auch eine Grundlage ihrer Arbeit. Seit dem »Zeitenwende«-Jahr 2022 erhalten OGR von der Ampelregierung Gelder für Aktivitäten im Rahmen des Bundesprogramms »Demokratie leben!« Die vorwiegend steuergeldfinanzierte und proisraelische Amadeu-Antonio-Stiftung hat bereits Projekte der OGR gefördert, unter anderem deren ersten Bundeskongress 2024 in Erfurt, und wirbt regelmäßig für die »rot-grünen« Großmütter Courage.

Es gibt aber auch kleine, in der 68er-Bewegung verwurzelte OGR-Strömungen. »Für viele von uns Omas waren die Grausamkeiten des Vietnamkrieges ein Augen- und Türöffner«, berichtete eine Aktivistin, die mit einer Gruppe Gleichgesinnter auf dem Berliner Alexanderplatz eine Kundgebung abgehalten und Friedenslieder vorgetragen hat. Die linkspazifistischen »Omas« kritisierten auch vor einigen Tagen die Kumpanei der kriegstüchtigen OGR mit »Asow«-Fans.

Aber jene Frauen haben einen zunehmend schweren Stand. Vergangenes Jahr distanzierten sich OGR Berlin/Deutschland-Bündnis sogar öffentlich von einer Mitstreiterin, die den Aufruf zur Friedensdemo am 3. Oktober eines breiten Bündnisses mit Beteiligung von Sozialdemokraten für den »Berliner Appell« gegen die Stationierung neuer US-Mittelstreckenwaffen unterschrieben hatte. Wiederholt wurden Mitglieder ermahnt, dass Friedensarbeit bei OGR fehl am Platz und als »Privatsache« zu behandeln sei.

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  • Leserbrief von Leo Pixa (6. Mai 2025 um 01:36 Uhr)
    Natürlich gibt es Differenzierungen bei den OgR (wo gibt es sie nicht?), und es dürfen nicht alle in einen Topf geschmissen werden. Das Problem ist einfach, dass nun mal viele Akteurinnen sich ganz bewusst auf die Seite der Reaktion gestellt haben und keine Berührungsängste mit den Verteidigern der »Asow«-Faschisten haben. »We stand with Zelensky« posaunen die Omas aus Wetterau. Ich kenne leider viele ähnliche Beispiele. Von den Verleumdungen gegen die Friedensbewegung mal ganz zu schweigen. Wer es ehrlich mit Demokratie, Frieden und Antifaschismus meint, darf sich in diesen Sumpf nicht hineinziehen lassen.
  • Leserbrief von SkunkAnansie aus Templin (2. Mai 2025 um 09:54 Uhr)
    Schade, dass die junge Welt auf den von der CDU geführten Zug aufspringt, dass wir Omas von der Regierung finanziert werden. Bitte genauer recherchieren. Ich bin in Brandenburg als OGR aktiv und wir haben noch keinen Cent bekommen. Auch arbeiten wir in Brandenburg nicht mit Faschisten für oder gegen Krieg. Ja, wir stehen für Demokratie und Vielfalt, wollen Sie das wirklich kritisieren? Mit dem Erfolg der AfD nehmen rechte Gewalttaten deutlich zu, man traut sich immer mehr, Minderheiten zu diskriminieren, das zu benennen und zu stoppen ist unser Ziel!
  • Leserbrief von Aleunam aus Berlin (1. Mai 2025 um 10:44 Uhr)
    Ich erwarte von gutem Journalismus eine gründliche Recherche. Diese scheint es hier nicht gegeben zu haben! Die OgR sind kein Verein, diesen gibt es auch, aber dies ist nicht die Mehrheit! Wir werden nicht (!) staatlich finanziert, die »Peanuts«, die wir in vielen Jahren erhalten haben, sind mit guter Recherche zu finden. Natürlich gibt es einzelne, die aus dem Rahmen fallen, wie überall. Was in dem Artikel betrieben wird, ist Sippenhaft! Mit guter Recherche hätte auch ein Statement auf der Website der OgR Berlin/Brandenburg gefunden werden können, zu dem benannten Vorfall bei den Friedensmärschen. Selbstverständlich will keine von uns Krieg! Es gäbe noch einiges mehr an klarzustellenden Falschaussagen und ich erwarte jetzt eine zeitnahe korrekte Recherche und Richtigstellung des Artikels! Eine OMA aus Berlin
  • Leserbrief von Sabine Osswald aus Berlin (1. Mai 2025 um 09:58 Uhr)
    AFD und CDU bedanken sich herzlich für diesen Beitrag … Ich bin eine von diesen »staatlich finanzierten« Omas (s. Kleine Anfrage der CDU!) … Alle Omas, die ich kenne, sind entsetzt über die Aktionen dieser Bündnis-Omas, haben aber leider keinen passenden Maulkorb. Insofern empfinde ich den Artikel als eine bösartige Diffamierung und pauschale Verurteilung unserer (»dementen« – wie billig!) Aktivitäten. Ich würde mir einen Zusammenhalt aller Antifaschist*innen wünschen, Spaltung war schon vor 100 Jahren einer der größten Fehler! Sabine Osswald
  • Leserbrief von Birgit Heller aus Berlin (30. April 2025 um 21:20 Uhr)
    Es ist leider in politischen Bewegungen oft so, dass die Ansichten, auf welchem Wege ein Ziel zu erreichen sei, irgendwann auseinandergehen. Das war bei den Omas gegen Rechts auch nicht anders. So gibt es seit 2018 die »Omas gegen Rechts Deutschland-Bündnis« und die »Omas gegen Rechts Deutschland.org«. Zu letzteren gehören die omasgegenrechts.berlin, die auf ihrer Website ihre Position zum Thema Ostermarsch/Asow klargestellt haben (https://omasgegenrechts.berlin/2025/04/27/wir-stellen-klar/). Die OMAS werden immer wieder an Punkte geraten, wo ein Konsens nicht möglich ist. Sie sind keine Partei, sondern eine Bewegung voneinander unabhängig agierender Gruppen und müssen das diskutieren und Dissens am Ende auch aushalten. Übel ist, dass sowohl Titel und Inhalt Ihres Artikels die alte Annahme verstärken, dass ältere Frauen sich gefälligst nicht in die Politik einzumischen haben. Aber das macht uns aus, und wir werden uns weiter einmischen, gegen Rechtsextremismus, für Demokratie und Menschenrechte. Ob Zustimmung von Herrn Steinmeier oder Kritik von der Jungen Welt ist uns dabei herzlich egal. Dies ist meine persönliche Meinung und keine »offizielle« Stellungnahme. (Übrigens: nach der »Kleinen Anfrage« der CDU im Februar ist vielfach klargestellt worden, dass von einer staatlichen Finanzierung der Omas gegen Rechts nicht die Rede sein kann. Sich darauf noch zu beziehen, ist billig.)
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Stephan K. aus Neumarkt i.d.OPf. (30. April 2025 um 16:41 Uhr)
    Schön, dass das nun wenigsten teilweise »links« ankommt. Nicht alles, wo Antifa drauf steht, ist Antifa, nicht alles, was (als Oma) »gegen Rechts« unterwegs ist, gehört zu den fortschrittlichen oder linken Kräften. Ein Teil davon sind ein Art NGOs der Herrschenden. Wie sonst lässt sich das völlige Ignorieren oder gar Verneinen von Faschos in der Ukraine bei vielen der Kämpfer gegen rechts erklären? Schon vor Jahrzehnten gab es zudem staatliche Provokateure und Steuerleute in Teilen der Antifa-Szene. Wer Friedensdemos oder Demos der Grundrechtebewegung mit »Nazis raus« beschreit oder gegen sie Demos »gegen rechts« organisiert, ist nie und nimmer links. Selbst dann nicht, wenn auch einige Friedensdemos von eher konservativen Kräften dominiert werden und auch fünf AfDler mitlaufen. Oder da muss ein »anderes« Links gemeint sein. Das der Unwissenheit. Oder ein Links aus der Parallelwelt. Links, aus der Neuen Normalität der Zeitenwende.
  • Leserbrief von Dr. Klaus Mucha aus Berlin (29. April 2025 um 23:52 Uhr)
    Mag sein, dass es solche Omas gibt. Aber (!) meine Erfahrung in Berlin-Reickendorf sind so, dass dort OGR bei Aktionen gegen die AfD z. B. aktiv sind. Bei Demos der Berliner Friedenskoordination sind mir OGR nicht spalterisch aufgefallen, sondern solidarisch. Beim Ostermarsch 2025 in Frankfurt/Oder ebenfalls.

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